(k)eine sprengung

Das Schloss sollte von der SS gesprengt werden! Die Sprengung verhinderte der damalige Gastwirt der Schlosswirtschaft Hellmuth Krumbiegel mit Androhung der Erschießung des Gauschlulleiters Seifert! Das Schloss ist heute noch da, weil die Sprengung verhindert wurde…

Diese Aussagen hörte ich zeitnah. Nachdem bekannt wurde, dass ich mich mit der NS-Vergangenheit Augustusburgs beschäftige. Ganz sicher schienen mir diese Aussagen nicht! Ganz sicher aber ist, dass Beate Zschäpe am 4. November 2011 ihre Wohnung in Brand steckte. In dieser Wohnung trafen sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nach ihrem untertauchen regelmäßig mit einem großen Unterstützer*innen-Netzwerk. Beim Brandanschlag auf die eigene Wohnung wurden viele Beweise, Dokumente, Waffen und die Möbel des NSU vernichtet. Nicht vernichtet wurden in der Augustusburg die Möbel aus der Neuen und Alten Reichskanzlei Adolf Hitlers. Denn im Schloss Augustusburg gab es (k)eine Sprengung! Viele Dokumente sind dennoch aus den Archiven spurlos verschwunden.

Fakt jedoch ist, dass im Juni 1933 zahlreiche Häftlinge im frühen Konzentrationslager auf der Augustusburg interniert wurden. In diesen frühen Konzentrationslagern wurden vor allem politische Gefangene inhaftiert beispielsweise Genossen der KPD und SPD. Laut den Recherchen eines Historikers (Anmerkung 1) und einer Historikerin waren im frühen Konzentrationslager der Augustusburg, welches innerhalb der Burg und im Torhaus (ehem. Amtsgericht) zu verorten ist mindestens 74 namentlich bekannte KZ-Häftlinge interniert und zu Zwangsarbeit gezwungen. (Anmerkung 2) Unter den Häftlingen von denen später viele ins KZ Sachsenburg oder in das KZ Buchenwald verlegt wurden waren viele Bauarbeiter. Die KZ-Häftlinge mussten Bauarbeiten für die Errichtung der Gauführerschule vornehmen. Ein Anstreicher war auch unter den Häftlingen. Er musste die Hasenmalereien ausbessern und im Fürstensaal ein Porträt Adolf Hitlers malen. (Quelle 3) In der Gauführerschule, die feierlich am 1. August 1933 eröffnet wurde, wurden bis 1938n insgesamt 10.813 Beamte in ca. 100 Lehrgängen auf NS-Line getrimmt. (Quelle 4)

Kehren wir zurück zu der These, dass Hellmuth Krumbiegel, Pächter der Schlossgaststätte in den Jahren 1933 – 1945 den Sprengbefehl vereitelte und somit die „Krone des Erzgebirges“ bis heute auf dem Schellenberg thronen lässt. Die Erzählung, dass ebenjener Hellmuth Krumbiegel das Schloss rettet beruht maßgeblich auf dem Tatsachen[sic]roman: Augustusburg – Schloss des Schicksals. Dieser Roman ist von Krumbiegels Tochter Erika Ranft verfasst und sie wünscht(e) sich eine Erinnerungstafel für den Schlossretter. Die Tatsache, dass die eigene Tochter einen Tatsachenroman über den Schlosshelden schrieb ließ mich vorsichtig werden. Bei weitergehenden Recherchen fand ich Belege, dass tatsächlich Möbel Adolf Hitlers aus der Alten und Neuen Reichskanzlei und seiner Privatwohnung im Schloss eingelagert waren. (Vgl. dazu den Berichts Hans Seiferts weiter unten) 

Der direkte Draht zwischen den Leitern der Gauführerschule (Werner Studentkowski, Fritz Rößler und Hans Seifert) nach Berlin, in die Führungsriege der NSDAP könnte unter Umständen dafür gesorgt haben, dass das Schloss Augustusburg 1944 in einigen Nachtundnebelaktionen zum Lager für Hitlers Möbel wurde. So wurden in den Türmen I und III die Möbel aus der Alten und Neuen Reichskanzlei eingelagert. (Quelle 6)

Diese Möbel sollten beim Einmarsch der Alliierten ins Deutsche Reich nicht in deren Hände fallen. Nicht nur die Möbel sondern auch Fabriken, Straßen, Brücken, Gebäude, Autobahnen sollten einem Befehl Hitlers, dem sogenannte “Nerobefehl“, zu Folge durch Sprengungen „geschützt“ werden. In vielen Fällen wurde dies durch die nicht ganz lückenlose Befehlsweitergabe u.a. durch Albert Speer verhindert. (Anmerkung 7)

In Augustusburg hatte Speer wohl nichts zu melden! Dass es einen Befehl zur Sprengung des „eingelagerten Kunstguts“ gegeben hat ist jedoch sicher. Diesen Befehl wollte Gauschulungsleiter Hans Seifert wohl durchsetzen. Laut eines von mir befragten Historikers war die Folge, dass ein SS-Sonderkommando aus Dresden unter der Führung eines gewissen Trepte die Sprengung am 7. Mai 1945 durchführen sollte.

Warum kam es nicht zur Sprengung? Hat Hellmuth Krumbiegel tatsächlich das Schloss gerettet?

Einer Antwort auf diese Frage lässt sich mit zwei Erklärungen näher kommen.

1. Dass das Schloss unüberlegt und schnell gesprengt werden sollte ist sehr unwahrscheinlich, da sich zu diesem Zeitpunkt ein zentraler Stützpunkt des letzten Aufgebots der kämpfenden Nationalsozialisten im Schloss aufhielt und dieses als Waffen-, Munitions- und Lebensmittellager nutzten. Eine Zeitzeugin berichtete mir: „Ich war zum Einkaufen in Augustusburg. Dann war Bombenalarm und ich wurde von einer Frau, die mich kannte in einen Luftschutzkeller des Schlosses mitgenommen. Da saßen die SS-Männer und SA-Männer mit Pistolen und Maschinengewehren oder so. Das werde ich nie vergessen ich hatte solche Angst vor denen, wie sie da saßen. Das werde ich nie vergessen. Ich musste im Keller die ganze Zeit weinen.“ Die Bedeutung des Schlosses Augustusburg in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wird auch aus den Recherchen des Historikers deutlich. Wegen eines Panzeralarms in der Planitzkaserne rückte die Abteilung aus dieser Kaserne am 15. April 1945 unter Führung des Nazis Ganzhorn bis zur Sternmühle vor. Dies war auch eine Außenstelle der Gestapo Chemnitz. Ein gewisser Herr Steffen (Gestapoführer und Kriminalrat) erklärte die Gestapo für aufgelöst und gab den Befehl, dass jeder Mann in Zukunft auf sich allein gestellt sei. So wurden kleine Gruppen gebildet um weiterhin gegen die vorrückende Rote Armee zu kämpfen. Eine Gruppe führerloser Nazis in Augustusburg bestand aus den Nationalsozialisten: Sparborth, Scheithauer, Knauer, Malkowski, Berthold und Franz. Die Mitglieder dieser Gruppe wurden dazu aufgefordert, sich Arbeitsstellen zu suchen und sich Papiere auf einen falschen Namen auszustellen. Sie sollten die regionalen Kapitulationen wie in Flöha oder auch Augustusburg verhindern. Das Ziel war auch das Hissen weißer Fahnen zu verhindern. Dies glückte in Augustusburg nicht. (Vgl. Bericht Helmut Schneiders im Stadtarchiv in den „Augustusburger Protokollen“)

Diesen führerlosen Widerstand sehe ich als eine Blaupause des in der Gegenwart sehr gefährlichen Credos eines „führerlosen Widerstands“. Dieser wird gegenwärtig aus den Turner-Tagebüchern übernommen und unter anderem von Combat 18, Blood & Honour propagiert und von Nazis in Taten umgesetzt. Es werden Morde begangen wie beim NSU-Komplex, Halle, Kassel…. Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos haben die Turner-Tagebücher gelesen und den führerlosen Widerstand umgesetzt (Anmerkung 8). 

Kommen wir zurück ins Jahr 1945 und ins Schloss Augustusburg: Die Gruppe führerloser Nazis in der Nähe der Möbel Adolf Hitlers bestand aus der eben benannter Gruppe. Durch eine Sprengung hätte man diese Nazis, welche in der Region noch Widerstand gegen die Alliierten leisteten in Gefahr gebracht. Am 7. Mai 1945 stand der Einmarsch der Alliierten, der Roten Armee unmittelbar bevor, weswegen die letzten kämpfenden Nazis versuchten mit Lkws und Motorrädern vor der Roten Armee zu fliehen um Richtung Chemnitz zu den US-Streitkräften zu gelangen. Eine Augenzeugin berichtet, dass in Erdmannsdorf aus Richtung Sternmühle kommend ein Lkw mit Nazis floh und in Erdmannsdorf einige Nationalsozialisten versuchten mit Gewehrschüssen den Lkw aufzuhalten um mit diesem fliehen zu können. Eine Kugel sei durch das Wohnungsfenster in die Wand über dem Kamin eingeschlagen. Aber der Lkw hat nicht angehalten. Eine weitere Augenzeugin berichtet vom Einmarsch der Roten Armee, „die vor allem in die Luft geschossen habe und uns haben sie nichts getan, weil sie scheinbar gesehen haben, dass meine Eltern der KPD zugehörig waren.“ Es lässt sich zusammenfassen, dass das Schloss Augustusburg zum Zeitpunkt des Sprengbefehls noch eine wichtige Rolle für den lokalen Kampf der Nationalsozialisten gegen die Alliierten hatte und ein Sprengung daher eher unwahrscheinlich war. 

2. 

Die zweite Erklärung, warum das Schloss nicht gesprengt wurde liegt in den Berichten über den 6./7. Mai 1945. Die Rolle bei der Rettung von Hellmuth Krumbiegel und den Schilderungen seiner Tochter sind jedoch nicht wahrscheinlich. Ich beziehe mich nun auf die Erläuterungen und Recherchen eines weiteren Historikers. Krumbiegel ist recht früh – vermutlich spätestens 1933 – in die NSDAP eingetreten. Krumbiegels Eintritt in die NSDAP ist wohl im Nachhinein als lediglich „wirtschaftlich motiviert“ eingeordnet worden. (Vgl. dazu Harald Welzer, Anmerkung 10) Hellmuth Krumbiegel war Amtsleiter der Gastronomen und somit verantwortlich für die Kommunikation der Wirte mit der NSDAP. Eine große Distanz zur NS-Ideologie ist daher sehr fragwürdig. Außerdem ist Krumbiegels Küchenhilfe Karl Gruß (geb. am 01.12.1912) ein radikaler Nationalsozialist gewesen. Er stammte, ebenso wie Hans Seifert, aus Limbach und wurde wie durch den SMAD-Befehl Nr. 97 der frühen Mitgliedschaft in der NSDAP (1.6.1931) und als SA-Standartenführer überführt. (Vgl. dazu das Dokument im Anhang) So war das Personal Krumbiegels und auch Krumbiegel selbst zumindest als Fürsprecher der Gausführerschule und somit auch der NSDAP zu sehen. Im Widerstand oder in der inneren Emigration, wie es in Ranfts Romans den Anschein macht, war er sicher nicht. Krumbiegel arbeitete recht lukrativ als Wirt für die Nazis, womit er in Augustusburg unter den Gastwirten nicht alleine war, aber am unmittelbarsten von der Gauführerschule in Augustusburg profitierte. In den Tagen vor dem 7. Mai 1945 schien es ihm bewusst zu werden, dass diese Einnahmequelle – dank des nahenden Sieges der Alliierten – versiegen würde. Das Schloss, heute wie damals, ist eine Einnahmequelle. So sah es wohl auch der Wirt. Daher war Krumbiegel mit Sicherheit daran gelegen, dass die Türme des Schlosses mit den eingelagerten Möbeln nicht gesprengt werden. Kommen wir daher zur zentralen Frage: Warum wurde (k)eine sprengung: am 7. Mai 1945 durchgeführt? Es ist nicht leicht, die Geschehnisse genau dokumentiert zu rekonstruieren. Akten dazu seien – wie der Historiker berichtet – unter anderem in einem Archiv in Prag. Andere Dokumente gehören zum Objekt 14, des MfS-Archivs. Das Objekt 14 ist nicht vollständig geschreddert, wie Geheimdienste es zuweilen in sogenannten Konfetti-Aktionen machen, aber es ist nicht leicht diese Akten einzusehen, da sie zum Teil mit langen Sperrzeiten versehen sind. Außerdem sind auch diese Akten im Bezug auf die NS-Zeit in Augustusburg sehr lückenhaft. Daher sind die folgenden Schilderungen der Ereignisse auf dem Schlosshof am 6./7. Mai 1945 unter folgende Zwischenüberschrift zu setzen: 

ziemlich sicher war es eher so als so

Die Rote Armee rückte Anfang Mai 1945 aus nördlicher Richtung vor und näherte sich Augustusburg. (Quelle 11) So wurde der mündliche Befehl an Hans Seifert überstellt, dass die Türme und Möbel am 7. Mai 1945 durch ein SS-Sprengkommando aus Dresden unter der Leitung des SS-Standartenjunkers Trepke gesprengt werden sollten. In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 1945 kam es wohl zu einer Spontanversammlung auf dem Schlosshof. Da standen die Nazis beisammen und stritten über (k)eine sprengung. An dieser Versammlung nahmen der Chef des SS-Sonderkommandos Trepke, Hans Seifert, Hellmuth Krumbiegel und der Kreisleiter Oehme aus Flöha teil. Oehme war auf der Flucht vor den alliierten Truppen und wollte schnell zu einem Ergebnis kommen: Sprengen: Ja, Sprengen: Nein, Sprengen: Ja, Sprengen: Nein, Sprengen: Ja, Sprengen? … Oehme wollte weiter und sprach sich daher wohl überzeugt und überzeugend für (k)eine Sprengung aus. 

Wer und wie aber nun der auslösende Grund für die Entscheidung die Sprengung nicht auszulösen genau aussah, ist nicht klar. Führte aber zu dem Ende: (k)eine sprengung. War es Krumbiegel mit der Pistole auf Seifert gerichtet? Wahrscheinlich nicht! War es die Textexegese und -interpretation des mündlichen Befehls auf dem Schlosshof? War es vielleicht doch Trepke, der sich entschied die Sprengkörper wieder abbauen zu lassen, weil er sich sicher war, dass der Zweite Weltkrieg dem Ende zuging? War es Kreisleiter Oehme als ranghöchster Nazi in der Runde, der sicherlich wegen seiner Flucht hektisch und nervös war? Oder war es Seifert, wie er es in seinem unterstehenden Bericht aussagte? Oder war er in Erinnerungen an HJ-Feiern, Eröffnungsreden und seine Macht auf der Burg schwelgend und daher nicht entscheidungsfreudig? Der Historiker ist der Überzeugung, dass Trepke für den Abbruch des „Nerobefehls“ wohl die bedeutendste Rolle gespielt hat. Die letztendliche Antwort erfuhr ich nicht auf den Straßen Augustusburgs. Die eine Antwort fand ich nicht in den Akten und Interviews. Die Antwort könnte in Prag liegen…

Das Hin und Her, die Geschichten und Mythen um (k)eine Sprengung der eingelagerten Möbel im Schloss verdeutlichen diese verschiedenen Aussagen:

  1. Aufgrund der Gefahrenlage, die ich an dem Wahlergebnis (gut 30% Stimmen für die faschistische AfD) der Bundestagswahl 2021 für Historiker*innen und Zeitzeug*innen sehe werden hier keine Namen veröffentlicht!
  2. Angesichts 74 der namentlich bekannten KZ-Häftlinge erscheint die geschätzte Zahl der KZ-Häftlinge in der Augustusburg von Carina Baganz ziemlich realistisch. (Vgl. Baganz, Carina: Erziehung zur „Volksgemeinschaft“? Die frühen Konzentrationslager in Sachsen 1933-34/37, 2005 Bd. 6, S. 114ff.)
  3. Vgl. Gränitz, Rudi: Schloß Augustusburg. Berlin: VEB, S. 26f.
  4. Vgl. Schmeitzner, Mike und Weil Francesca: Sachsen 1933 – 1945. Der historische Reiseführer. Sächs. Landeszentrale für politische Bildung, 2018, S. 34.
  5. Quelle: Baganz, Carina: Erziehung zur „Volksgemeinschaft“? Die frühen Konzentrationslager in Sachsen 1933-34/37, 2005 Bd. 6, S. 114ff
  6. Quelle: Verzeichnisse der ehemaligen Ausweichlager im Landkreis. In: Sächsisches Staatsarchiv, 30405 Kreistag/Kreisrat Flöha, Nr. 459
  7. Quelle: Heinrich Schwendemann: „Verbrannte Erde? Hitlers „Nero-Befehl“ vom 19. März 1945. und: https://germanhistorydocs.ghi-dc.org/docpage.cfm?docpage_id=2382&language=german
  8. Vgl. Ramelsberger et. al.: Der NSU-Prozess. Das Protokoll. Beweisaufnahme I, München: Kunstmann, S.472f.
  9. In Augustusburg waren die meisten Gastronomen relativ früh in die NSDAP eingetreten. Dies kann zum Teil auch an dem Umstand liegen, dass die zählkräftigsten Gäste mit der Eröffnung der Gauführerschule Nationalsozialisten waren und so warben Gaststätten offen um die braune Kundschaft. Der Ratskeller beispielsweise hatte eine Leuchtreklame „Älteste NSDAP-Gststätte“ außen angebracht. (Vgl. Dokument weiter unten)
  10. (10)Quelle: Harald Welzer et. al.: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, S. 150-156.
  11. Vgl. Helmut Schneider: Kriegsende in unserer Stadt – Aus den Erinnerungen eines Einwohners. In: Augustusburger Anzeiger 4/1996 und 5/1996.

Anhang: