Augustusburg 1933 – 1945. Wir setzen uns zusammen auseinander
„Neben dem Wissen und Zeugenschaft liegt es aktuell gerade an künstlerischen Formaten, die gesellschaftliche Relevanz von Gedächtnis und Erinnerung neu zu verhandeln. In ihrer radikalen Individualität schaffen sie nicht nur eine Verbindung zwischen rationalem und emotionalem Wissen, sondern spiegeln auch die vielen Ebenen und Formen des Erinnerns wider.“ – Mirjam Zadoff: Gewalt und Gedächtnis 2023 (Seite 32)
Dieser Aufgabe, der Vermittlung des Nationalsozialismus in der Zeit nach der Zeitzeug*innenschaft durfte ich mich im Rahmen der Kuration einer Veranstaltungsreihe von Mai – August 2024 in Schloss Augustusburg widmen. Ich teile Mirjam Zadoffs Auffassung, dass Kunst eine Schnittstelle zwischen rationaler und emotionaler Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einnehmen kann. Der Einladung nach Augustusburg folgten viele Künstler*innen, die ich persönlich und deren Arbeit ich sehr schätze und deren „Fan“ ich bin. Daher war ich sehr glücklich diese künstlerischen Positionen in der Veranstaltungsreihe zu vereinen. Die Gäste öffneten den Diskurs über Kunst und Erinnerung mit den Zuschauer*innen und zeigen so Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte heute.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe war am 8. Mai 2024 das Soundprojekt „History is Listening – Re-Sonyfing history“ zu Gast. In ihrer Sound- und Lectureperformance setzen sie sich anhand des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg mit dem Sound und der Architektur und somit den Spuren des Nationalsozialismus auseinander. In Ausgustusburg waren Hani Mojtahedi, Gascia Ouzounian, Michael Akstaller, Louis Chude-Sokei, Yara Mekawei und Andi Thoma als Vertretung von Jan St. Werner zu Gast.
Am 9. Mai 2024 wurde die Uraufführung des Stücks „Ganz normale Deutsche“ des Kontrabassisten und Komponisten Stephan Goldbach gezeigt. In diesem Stück setzt er sich mit seiner aus Pforzheim kommenden Familie persönlich und künstlerisch auseinander. In dem Stück wird das Verschweigen und die Verluste einer (Täter)Familie im Zweiten Weltkrieg emotional und nahbar verhandelt. Es geht um vererbte Schuld oder das Unwohlsein mit der Familiengeschichte. Das Stück ist von Stephan Goldbach und basiert auf einem Briefwechsel seiner Familie. Er wurde unterstützt vom Autor Andreas Thamm, der Sängerin Lisa Ströckens und dem Schauspieler Valentin Bartzsch.
Die wissenschaftliche Perspektive auf die Auseinandersetzung mit dem NS in Schloss Augustusburg wurde am 16.5.2024 in Form eines kleinen Kolloquiums perfektiviert. Christine Schmidt erläuterte in ihrem Vortrag die zwei Todesmärsche im Frühjahr 1945, die durch Erdmannsdorf (Ortsteil Augustusburgs) und Augustusburg führten. Prof. Mike Schmeitzner referierte über die Gauführerschulen Hammerleubsdorf und Schloss Augustusburg und Anna Schüler stellte in ihrem Vortrag die Verbindung des Frühen KZs in Schloss Augustusburg und dem KZ Sachsenburg her.
Uwe Wittstock las am 21. Mai 2024 im Saal des Schloss Augustusburg aus seinen Sachbüchern Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur und Februar 33. Der Winter der Literatur. Vor allem die aus Tagebüchern verschiedener bekannter Schriftsteller komponierte Handlung des Sachbuchs Februar 33 steht durch die Geschichte des Schloss Augustusburg als Frühes KZ unmittelbar nach der Machtübertragung an Hitler im Jahr 1933 in einem Zusammenhang mit der Zeit unmittelbar nach der Machtübertragung und stellte so eine Perspektivierung und Verbindung zwischen der Entwicklung in Berlin her.
Im Podcast „Trauer und Turnschuh“ LINK denken Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek mit Gästen das Thema des Nationalsozialismus und die Erinnerungsdiskurse zusammen. Vor allem ist ihre Perspektive aus der Gegenwart und die Zusammenhänge der Themen NS, Rassismus, Kolonialverbrechen… besonders interessant, wichtig und außerordentlich relevant. In Augustusburg nahmen sie gemeinsam mit Jens-Christian Wagner (Leiter der Stiftung Gedenkstätten KZ Buchenwald und KZ Mittelbau-Dora) eine Livefolge ihres Podcasts auf. Der Titel lautet: „Vom Ende einer guten Geschichte. Antifaschismus und die AfD in Ostdeutschland“
Die weltweit ausstellende Künstlerin Henrike Naumann ist im Erzgebirge geboren und aufgewachsen. In vielen Werken setzt sie sich mit Rauminstallationen, Videos, Performances mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinander. In ihren Arbeiten wie „Ruinenwert“ oder „Das Reich“ u.v.a. setzt sie sich mit Möbelinstallationen mit dem Nationalsozialismus auseinander. In Augustusburg hielt sie am 29. Mai 2024 einen Vortrag über ihre Arbeiten aus diesem Kontext. Die Arbeiten Henrike Naumanns passen extrem gut in die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Schloss Augustusburg. Denn hier wurden 1943 und 1944 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Möbel aus Hitlers Reichskanzlei zum Schutz vor dem Einmarsch der Alliierten gelagert.
Interview
Die interkulturelle Trainerin Simone Treiber führte am 31.Mai. und 2. Juni 2024 einen Workshop zum Thema „Lebendige Bibliothek. Generationen im Dialog über Geschichte und Gegenwart“ durch. Bei diesem partizipativen Angebot rückte die Gegenwart und die (Lebens)geschichten verschiedener Generationen in den Fokus. Simone Treiber gelang es in ihrem Workshop emotionale Themen verschiedener Biografien in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken und die Teilnehmer*innen (17 – 75 Jahre) öffneten sich sowohl innerhalb des Workshops als auch bei der öffentlichen Besuchszeit der Lebendigen Bibliothek. Es gelang ein schöner und intimer Nachmittag in dessen Zentrum Nachbar*innen sich in intensive Gespräche vertieften.
Die in Leipzig lebende Autorin Julia Wolf las am 6. Juni 2024 aus ihrem Roman „Alte Mädchen“ in diesem Buch werden drei Generationen und deren Erinnerungen auf die Zeit des Nationalsozialismus porträtiert. Der gemeinsame rote Faden der Erzählung sind die Spuren des NS in den Biografien und die Präsenz der transgenerationalen Traumata. Diese vererben sich über Generationen hinweg und prägen Menschen auch wenn sie selbst keine direkten Erinnerungen oder Erfahrungen an die NS-Zeit haben.
Die vorletzte Veranstaltung war die Lesung von Mirjam Zadoff, der Leiterin des NS-Doku Zentrums München, am 8. August 2024. In ihrem Buch „Gewalt und Gedächtnis. Globale Erinnerung im 21. Jahrhundert“. Ihre Lesung und ihr Buch, von dem ich nachdrücklich begeistert bin öffneten die Perspektive auf Erinnerungen im globalen Kontext. Es werden Erinnerungsdiskurse, Gedenkstätten und Kunstwerke, die sich mit Terrorismus und Völkermorden weltweit erläutert und in einen Zusammenhang gestellt.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Uraufführung des Musiktheaterstück „Bericht einer Zeitzeugin“ am 11. August 2024. In diesem Stück setzen sich die Künstler*innen mit der künstlerischen Auseinandersetzung mit Zeitzeug*innenschaft auseinander. Auf der Grundlage eines Interviews mit einer Zeitzeugin aus Augustusburg geht es darin auch um persönliche und geografische Bezüge der Künstler*innen. Es gelang eine berührende und beeindruckende Aufführung in dessen Zentrum die Auseinandersetzung mit einem Todesmarsch, der im März 1945 durch Augustusburg führte. Die Komposition ist von Dominik Tremel, das Interview und Regie führte Felix Forsbach, als Schauspielerin arbeitete Anke Retzlaff gemeinsam mit dem Streichquartett ensemble01 mit Ruth Petrowitsch, Ulla Walenta, Thomas Bruder und Andreas Winkler und Live-Elektronika von Dominik Tremel auf der Bühne zusammen.
Fotos © von Dominique Wollniok, Marian Lenhard, Ludwig Anderdonath, Oliver Loeser
Die Veranstaltungsreihe fand vom 8.5. – 11.8.2024 in Schloss Augustusburg statt.
Gefördert von: